VERLORENE STÜCKE, LEBENDIGE GESCHICHTEN
Die umfangreiche Kunstsammlung der Familie Adler erforderte einen tiefen Einblick in ihre Geschichte. Manchmal sind es die kleinen Geschichten, die das große Bild verdeutlichen und es konkreter und nachvollziehbarer machen. Im Folgenden finden Sie einige dieser Geschichten.
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Mehrere Kunstwerke des Münchner Malers Josef Scharl (1896-1954) befanden sich in der Kunstsammlung Adler. Soweit bekannt, ist jedoch das einzige Kunstwerk, das Emilie Adler im März 1939 nach Palästina ausführen durfte, das Porträt ihres Mannes Karl Adler, das Josef Scharl 1935 gemalt hatte.
Das Porträt galt als verschollen, bis...
Während eines Familientreffens, bei dem das Projekt per Videoanruf besprochen wurde, zeigte die Urenkelin, die das Projekt initiiert hatte, ein Bild des Porträts, das als verloren galt. Kurz nach dem Treffen erhielt sie eine E-Mail von zwei Enkelinnen von Karl und Emilie, die sich daran erinnerten, ein solches Porträt im Haus ihrer Eltern hängen gesehen zu haben. Als die Eltern starben, war das große Gemälde (74 x 89 cm) verpackt und aufbewahrt worden. Die beiden Enkelinnen konnten es in ausgezeichnetem Zustand und mit der Signatur von Joseph Scharl unten rechts wiederfinden (siehe Bild unten).
Die Familie erwägt, dieses einzigartige Porträt einem Museum zu schenken oder seinen Fund anderweitig zu nutzen, um die Geschichte von Karl und Emilie Adler und ihrer Kunstsammlung zu erzählen.
Begleitet wurden sie von Dr. Ernst Neumann, dem Direktor der Deutschen Kunstausstellung im Maximilianeum in München. Er begutachtete die Kunstwerke und Möbel und wählte die Werke aus, die als kulturell wertvoll erachtet wurden.
Im Beschlagnahmeprotokoll heißt es, dass Karl Adler "vor einer Woche" gestorben sei und dass Emilie Adlers Schwester Luise Silbermann anwesend war. Eine gerahmte kolorierte Zeichnung von Max Slevogt wird im Beschlagnahmeprotokoll als Nummer 3 genannt.
Daraufhin wurden die Kunstwerke in das Bayerische Nationalmuseum in München gebracht, von wo aus einige an andere Museen weitergegeben und andere verkauft wurden.
Max Slevogt, Deutscher Adler und englischer Löwe, 1900,
Signiert und datiert u. r.: M. Slevogt 1900, Kreide, 24 x 18,5 cm.
Im Rahmen der Recherchen zum Projekt "The Karl & Emilie Adler Collection Project" wurde dieses Gemälde im Israel Museum, Jerusalem gefunden, wo es im Online-Katalog unter dem Titel "Doctor Examination" erscheint. Eine handschriftliche Beschriftung auf der Rückseite des Gemäldes besiegelte den Fund: "Slevogt: "Dtsch. Adler u engl. Löwe" Zchg. 450".
Das Museum ist dabei, das rechtliche Eigentum an die Familie zurückzugeben, die ihr Interesse daran bekundet hat, das Kunstwerk zu stiften oder es in entsprechenden Ausstellungen zu präsentieren.
Der Münchner Bildhauer Konstantin Frick (1907-2001), auch ein Freund der Adlers, bestätigte am 13. August 1958 vor der Wiedergutmachungskammer beim Landgericht München, dass sich mehrere Gemälde von Leo Putz im Besitz des Ehepaars Adler befunden hätten. Er gab an, dass alle am 28. November 1938 von der Geheimen Staatspolizei in München aus der Wohnung der Adlers "weggeschleppt" oder von der SS gestohlen wurden.
Leo Putz, "Dame im Park (Schleißheimer Park)", 1903, fotografiert 1916 im Wohnzimmer des Hauses Adler, Hochleite 21, München.
Dame im Park, Leo Putz, 1903, wie im Auktionskatalog erschienen
Bei dieser Geschichte reichte die scheinbar perfekte Spur nicht aus:
Die Recherche in ausgewählten Datenbanken ergab, dass das Gemälde am 21. Oktober 1995 im Auktionshaus Nagel, Stuttgart, in der Auktion "Gemälde, Graphik, Skulpturen, Kunstgewerbe" mit der Losnummer 1 für 29.423 Euro verkauft wurde. Wer der Käufer war, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Die Adlers besaßen mehrere antike Möbelstücke, darunter drei besonders wertvolle Schränke, die um 1600 und 1700 angefertigt wurden. Diese beeindruckenden Schränke waren 2,5 Meter hoch und wiesen neben anderen dekorativen Elementen im Stil des Barock und der Renaissance markante Birnbaumrundungen auf.
Emilies Nichte, Sophie Johanna Mayer, sagte 1964 von der Wiedergutmachungsbehörde, München aus, dass die Geheime Staatspolizei zwei der drei antiken Schränke in der Wohnung ihrer Tante beschlagnahmt hatte; einige andere Gegenstände wurden zwangsweise verkauft oder es wurde versucht, sie zu verkaufen. Da es einem Mittelsmann nicht gelang, den dritten antiken Schrank zu verkaufen und Emilie Adler bereits nach Palästina emigriert war, verwahrte Sophie Johanna Mayer den Schrank ihrer Tante.
Innenaufnahme des Hauses Adler, Hochleitestr. 21,
mit einem zweitürigen Eichenschrank im Hintergrund.
Der Verbleib dieser Schränke konnte nicht vollständig geklärt werden. Die Suche nach ihnen ergab jedoch eine viel traurigere Geschichte:
Karl Adlers Schwester Paula Mayer, geborene Adler, war mit dem aus Mainz stammenden Kaufmann Julius Mayer verheiratet. Das Paar hatte zwei Töchter, Sophie Johanna und Elisabeth Charlotte. Im Dezember 1907 zog die Familie von Mainz nach München, wo Julius Mayer als kaufmännischer Leiter in der Bettfedernfabrik Adler arbeitete, die von den Brüdern seiner Frau, Max und Karl Adler, geführt wurde.
Im November 1941 wurden Julius und Paula Mayer zusammen mit ihren beiden Töchtern in das "Heim für Juden" in Berg am Laim eingewiesen. Julius Mayer starb dort am 23. März 1942. Paula Mayer konnte zusammen mit ihren beiden Töchtern im Juli 1942 fliehen.
Von hier an trennten sich die Wege und Schicksale der Familie:
Paula versteckte sich zusammen mit ihrer jüngeren Tochter Elisabeth Charlotte bis zum Frühjahr 1944 auf einem Dachboden von Bekannten in Deggendorf. Im März 1944 nahmen sich die beiden Frauen - Paula und ihre Tochter Elisabeth Charlotte - das Leben. Sie stürzten sich von einer Brücke in die Donau.
Die ältere Tochter Sophie überlebte, indem sie sich in Lenggriess, Bayern, versteckte, wo sie von den Schwestern Marie Dora Letnar und Rosa Mayer versteckt wurde. Nach dem Ende des Krieges kehrte sie nach München zurück und arbeitete als Ärztin. Als sie 1964 im Alter von 66 Jahren bei Emilie Adlers Rückerstattungsverfahren erschien, gab sie an, den antiken Schrank noch immer zu besitzen. Es konnte nicht vollständig geklärt werden, wie es ihr gelang, den Schrank über den Krieg zu verwahren, während sie selbst die Verfolgung nur knapp überlebte. Dr. Sophie Mayer starb am 2. Juli 1997 in München.
Adlers häufige Erwähnung von Transaktionen für Alfred Kubins Werke lässt vermuten, dass Kubin ihn mit dem Verkauf betraute. Adler nutzte seine guten Verbindungen in der Münchner Kunstszene, um Kubins Kunst und Ruf bekannt zu machen. Kubin schenkte den Adlers auch viele Werke, so zum Beispiel die Zeichnung "Der müde Wanderer" und auch ein, wie Adler es nannte, "wunderschönes Blatt" zu ihrer Silberhochzeit. Diese Zeichnung befand sich seit Oktober 1927 in der Sammlung Adler. Es wird vermutet, dass es zu den Werken gehört, die Emilie Adler vor ihrer Emigration nach Israel im März 1939 von den Nationalsozialisten entweder unrechtmäßig entzogen wurden oder die sie in München zurücklassen musste.
Die Briefe zeugen von einer intensiven und herzlichen Beziehung, die von gegenseitigem Respekt und Vertrauen geprägt war. Adler spricht Kubin zu Beginn seiner Briefe durchgängig mit "Verehrter Meister Kubin" oder "Verehrter Freund und Meister Kubin" an, während Kubin Adler als "lieben Freund" bezeichnet. Außerdem bezeichnet Kubin Adlers Frau liebevoll als die "schöne Kaiserin Emilie". In ihren Briefen berichtete Adler Kubin von ihren Reisen durch Europa, und bei mehreren Gelegenheiten besuchte das Paar zusammen mit anderen Familienmitgliedern Kubin in seinem Haus in Zwickledt in Österreich.
Susi Adler (die älteste Tochter von Karl und Emilie, die später Erich Glas heiratete) und Alfred Kubin, Zwickledt, Österreich, 1927
In seinem letzten erhaltenen Brief von Adler an Kubin vom 27. Juli 1933 teilte Adler die Auswanderungspläne der Familie nach Israel mit. Aus diesem Brief geht hervor, dass die Familie bereits im Juli 1933, nur wenige Monate nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, beschlossen hatte, nach Palästina auszuwandern. Die fünf Adler-Kinder kamen zwar in den 1930er Jahren in Israel an,aber Karl und Amelia schlossen sich ihnen aus unbekannten Gründen nicht an. Karl wurde im November 1938 in Dachau ermordet, und kurz darauf floh Emelie aus Deutschland.
Seiten aus der persönlichen Korrespondenz zwischen Karl Adler und Alfred Kubin